„ALLES STEHT UND FÄLLT MIT DEM FAKTOR MENSCH“

Angelika Jung – blaupause-Redaktion DSAG-Kundemagazin

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Mit smartem Denken haben Philipp Becker, kaufmännischer Leiter bei Vision Lasertechnik, und seine Kollegen vieles in dem mittelständischen Unternehmen hinterfragt und anschließend umgekrempelt.
Mit smartem Denken, viel Eigenmotivation und Überzeugungsarbeit. Heute steht das Unternehmen als Vorreiter in Sachen Digitalisierung mit neuem Geschäftsmodell da. Die wichtigsten Erkenntnisse bei der Business Transformation: Mitarbeiter mitnehmen und nicht auf Standards warten.

Vision Lasertechnik hat bei Industrie 4.0 vorgelegt und ist bei den Vorreitern dabei. Wie steht das Unternehmen heute da? Was hat sich geändert?

Eigentlich waren wir ein Maschinenbauer. Das heißt, alles, was wir bisher verkauft haben, war sozusagen schwergewichtig. Inzwischen bestehen einige unserer Produkte aus Einsen und Nullen und wir sind heute zusätzlich ein Anbieter von Produkten für Industrie 4.0.
Am Ende der Reise steht ein komplett neuer Unternehmensbereich mit einem

Herr Becker, wie konnten Sie Überzeugungsarbeit für dieses Projekt leisten? Oder wurden Sie überzeugt?

Ich musste mich zuerst einmal selbst überzeugen.
Das war tatsächlich das Wichtigste.
Im Jahr 2011 kam das Thema Industrie 4.0 in den Medien auf. Gefolgt vom Industrial Internet und Internet of Things. Für mich als Ökonom
war vieles in diesem Themenkomplex zu jenem Zeitpunkt neu. Also habe ich intensiv recherchiert, Vorträge besucht, Abschlussarbeiten
von Universitäten und Promotionsarbeiten gesichtet, um mir ein einheitliches Bild zu verschaffen. Das musste sein, weil vieles, was propagiert wird, zu abgehoben ist, als dass es für Mittelständler wie uns
tatsächlich auch Vorteile gebracht hätte.
Darum habe ich mir erst einmal selbst einen Überblick verschafft, um mich von den Vorteilen zu überzeugen.

Gesellschafterversammlung und Mitglieder der Geschäftsleitung sind vielleicht etwas schwerer zu begeistern. Wie haben Sie das geschafft?

Die Vorbehalte waren da. Das gebe ich zu. Es ging um etwas komplett Neues, das ich erst einmal ausführlich erklären musste. Es geht
schließlich nicht darum, eine neue Anlage anzuschaffen,
die doppelt so schnell produziert und beispielsweise nur ein Drittel mehr kostet. Das lässt sich kaufmännisch darlegen.
Im Falle von Industrie-4.0-Vorhaben ist das aber nicht ganz so einfach. Mit dem Wust an allgemeinen Informationen hätte ich das ganz sicher nicht geschafft. Auch wenn ich selbst Teil der Geschäftsführung bin. Es galt, zunächst einmal eigene Lösungsansätze zu finden und die dann gezielt zu präsentieren und zu bewerben. Das haben wir getan. Wir haben
das Pferd von hinten aufgezäumt.

Das müssen Sie uns erklären

Ich habe bei einigen Unternehmen gesehen, dass sie Bestehendes außer Acht gelassen haben. Das bedeutet: Sie haben einzelne Projekte gestartet. In einer bereits vorhandenen Fabrik wurde weniger darauf geachtet, wo die
Probleme sind und wie diese mit einer neuen Denkweise gelöst werden können. Es wurde vielmehr gesagt: So, hier haben wir eine grüne
Wiese, da bauen wir eine Halle drauf und genau dort setzen wir Industrie-4.0-Lösungen ein. Diesen Weg wollte ich partout nicht gehen.
Wir hätten uns das auch gar nicht leisten können. Es ist ja auch Quatsch, eine bestehende Fabrik komplett abzubauen und durch eine
neue zu ersetzen. Natürlich ist es toll, wenn Maschinen tatsächlich von Robotern bestückt werden und nicht mehr von Menschen. Das
ist aber alles fernab von dem, was tatsächlich in der Realität durch andere Mittelständler umgesetzt werden kann. Also haben wir durch neue Lösungsansätze Bestehendes und Neues kombiniert. Damit hatte ich Argumente. Das erfordert allerdings neue Denkweisen.

Wie haben Sie diese Lösungsansätze entwickelt? Haben Sie einen Tipp?

Man muss tatsächlich dieses smarte Denken haben und zunächst einmal alles aktuell Vorhandene infrage stellen und das ist nicht ohne. Und das ganz große Problem ist, wenn Sie selber etwas entwickeln, dann müssen Sie
auch einen sehr, sehr langen Zeitraum überbrücken, der sehr viele Kosten verursacht.
Sie kaufen Hardware, die Sie danach wegwerfen können, weil Sie festgestellt haben, das ist nicht das Richtige für uns. Unsere IT
programmiert etwas bis zu einem Projektfertigstellungsgrad von 70 Prozent. Dann stellen Sie fest, das ist Quatsch. Alles auf Anfang.
Das hat tatsächlich auch mir viele Sorgen bereitet.
Jetzt im Nachhinein weiß ich aber, der Weg war richtig. Sie brauchen einen langen Atem und ein dickes Fell. Und gute Partner.

Das hört sich nach einer intensiven Zeit an. Wie ging es weiter?

Mit Partnern und Universitäten haben wir für die Fabriken von Vision Lasertechnik unsere eigene Industrie-4.0-Lösung entwickelt. Unser
Team bestand aus 17 Personen, davon sechs Kollegen aus unserem Haus. Um nicht ganz bei null anzufangen und bestehende Investitionen
zu schützen, haben wir – wie eben erwähnt – unsere älteren Maschinen eingebunden.
Dafür haben wir offene Protokolle genutzt und offene Schnittstellen geschaffen.

Warum haben Sie keine Standards genutzt? Lag das nicht auf der Hand?

Ganz einfach. Auf in Aussicht gestellte Standards für Schnittstellen oder Protokolle von verschiedenen Gremien – bestehend aus Konzernen,
Industrie und Politik – wollten wir nicht warten. Das hätte zu lange gedauert.
Wir sind einfach durchgestartet. Und das war im Nachhinein gut so. Aber auch ein Wagnis, weil wir nicht alles zu 100 Prozent umsetzen
konnten, sondern uns an der damaligen Situation orientiert und uns für die Offenheit entschieden haben. Dadurch ist es egal, welche Standards kommen, weil wir heute anpassbar sind.
Eine Empfehlung, die ich gerne weitergebe, lautet: Nicht warten, eigene Lösungen finden und machen! Auch wenn es zunächst ein gewisses Risiko bedeutet.

Der Faktor Mensch ist bei dieser Art von Projekt ebenfalls entscheidend. Wie haben Sie, nach der Geschäftsleitung, die Kollegen ins Boot geholt?

Mit unserem Vorhaben haben wir alles infrage gestellt und das hat natürlich Ängste verursacht: Werde ich durch eine Maschine
ersetzt? Muss ich meine Arbeit neu lernen? Werde ich stärker kontrolliert? Diesen Fragen müssen Sie im Gespräch begegnen. Steht und fällt so ein Projekt doch mit den Mitarbeitern.
Wenn Sie die Kollegen nicht von vornherein einbeziehen und sie davon überzeugen, dass es Vorteile für sie hat, und hier spreche ich von ganz individuellen, persönlichen Vorteilen, dann wird eine Implementierung von
solchen Lösungen immer scheitern. Da bin ich mir sicher. Ohne Frage.

Es gab doch bestimmt Mitarbeiter, die sich nicht sofort für neue Prozesse begeistern wollten oder konnten. Etwa weil sie sich kurz vor dem Ruhestand nicht umstellen wollten oder zur Fraktion gehören: Das haben wir schon immer so gemacht, wieso wird das geändert? Wie
konnten Sie diese Menschen einfangen?

Wir haben Fragen und Befürchtungen möglichst detailreich im Dialog geklärt. Beim Thema Smart Watches etwa kam die Frage auf:
Bin ich überwachbar? Dazu muss man wissen:
Die Mitarbeiter sind über Smart Watches in den Kreislauf eingebunden. Sie tragen sie immer am Körper, müssen kein klobiges Tablet herumtragen und werden über einen Vibrationsalarm informiert, wenn eine Maschine
fertig ist oder einen Fehler hat. Das schafft eine gewisse Bewegungsfreiheit in der Fabrik.
Mitarbeiter müssen nicht den ganzen Tag direkt daneben stehen bleiben und aufpassen.

Das hört sich nach einem sehr überzeugenden Vorteil an.

Das stimmt. Andererseits haben die Mitarbeiter aber in den Medien erfahren, dass z. B. die Apple-Watch eine Pulskontrolle hat. Das
wirft die Frage auf: Kann das System sehen, ob ich aufgeregt oder entspannt bin? Sehen die meinen Puls? Sehen die, wohin ich mich gerade bewege?

Das sind eben alles Sachen, die erst einmal Sorgen machen. Und da haben
wir von vornherein auf Transparenz gesetzt.
Auf den Monitoren in der Fabrikhalle kann ganz genau gesehen werden, welche Daten tatsächlich erfasst werden. Und so sieht der Mitarbeiter: Mein Standort wird nicht erfasst, mein Puls ist vollkommen egal. Das hat die
Kollegen dann etwas beruhigt.

Das war aber sicherlich nur der Anfang der Überzeugungsarbeit.

Was wir bei unserer zentralen Plattform hinzugefügt haben, war die künstliche Intelligenz.
Hollywood hat sie böse dargestellt, davor haben die Leute dann natürlich wirklich Angst.
In vielen intensiven Gesprächen haben wir mit der Sage aufgeräumt, dass die künstliche Intelligenz dazu führt, dass ein namens- und gesichtsloses Wesen in der Software irgendetwas steuert, sondern dass das im Grunde
eine Art Mustererkennung ist. Wenn die Maschine z. B. den Status X erreicht, schaltet sie automatisch ab. Und so lernt das System tatsächlich
vom und mit dem Mitarbeiter, wie es arbeiten muss, und dann ist diese künstliche Intelligenz gar nicht mehr so gefährlich.

Das A und O ist also, wie so oft im Geschäftsleben, sich auf die Menschen einstellen und miteinander reden …

Genau. Und jedem Einzelnen seine persönlichen Vorteile aufzeigen. Das ist auch gar nicht so schwierig. Die Arbeit dafür wurde ja bereits geleistet. Denn: Im Vorfeld des Projekts hatten wir zunächst verschiedene Problemfelder identifiziert. Für diese haben wir dann geeignete Lösungen etwa im Bereich Fertigungsmanagement gefunden. Wenn Sie später
mit einer Liste von Lösungen zum Mitarbeiter zurückkehren, hilft das ungemein. Und ist teilweise sehr überzeugend!

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gerne. Ein Mitarbeiter aus der einen Abteilung kann erst weiterarbeiten, wenn bestimmte Daten aus einer anderen Abteilung vorliegen.
Was macht er? Er ruft, wenn nötig, mehrmals am Tag an. Das war schon immer so, ist lästig und unangenehm. Wenn es nun aber die Möglichkeit gibt, dass Aufträge vom System erst dann zugespielt werden, wenn die Daten vollständig sind, sieht der Mitarbeiter den Vorteil für sich und seine Arbeit. Ein gutes Beispiel, dass man aus der „Das war schon immer so“-Spirale mit neuen Lösungsansätzen ausbrechen kann. Und so holen Sie die Mannschaft hinter sich. Mitarbeiter für Mitarbeiter.
Das ist uns weitestgehend gelungen.

Viele Mitarbeiter sind mittlerweile stolz auf ihre neue Vision Lasertechnik?

Es ist wirklich so. Wir sind alle stolz darauf, was wir geschafft haben. Und einige Mitarbeiter sagen: Ich arbeite in einer Smart Factory!

Industrie 4.0 hat die letzten Jahre Ihres Lebens doch irgendwie bestimmt.
Könnten Sie auch ohne leben?

Ja. Wir können auch ohne. Das haben wir in den letzten Jahren geschafft. Wir wollen aber nicht mehr ohne. Das können Sie mir glauben.

Herzlichen Dank für dieses spannende Gespräch mit vielen Denkanstößen.