Digitalisierung und Industrie 4.0 – Beispiel aus dem produzierenden Mittelstand

Philipp Becker, erschienen in der Schriftenreihe der FHM Bielefeld, 2017
ISBN: 978-3-937149-60-8 FHM Verlag

Einleitung

Im Jahr 2011 lieferten die deutschen Medien erste Informationen zu dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0.

Besonders die Berichterstattung zur weltweit größten Industriemesse, der Hannover Messe, hob diese Thematik hervor, glänzend futuristisch wurde die Idee der autonomen und selbstständigen Fertigung mit Robotik und flexiblen Maschinen präsentiert.

Die Relevanz dieser neuen Idee wurde schnell klar, die deutsche Bundesregierung setzte die Industrie 4.0 als Kernthema auf die Digitale Agenda.


Der klassische Maschinenbau in der digitalen Transformation

Die Vision Lasertechnik GmbH entwickelt, produziert und vertreibt seit über 30 Jahren Lasersysteme für Medizin und Industrie.

Nach einer vollständig in Deutschland durchgeführten Wertschöpfungskette und einer in der Nähe von Hannover und in Chemnitz ansässigen Produktion wird das Produkt „Made in Germany“ in über 20 Länder der Welt exportiert.

Mit eigenen Niederlassungen in Shanghai, Tokio, Taipeh und Seoul sowie vielen kooperierenden Servicepartnern bietet die Vision Lasertechnik GmbH weltweiten Service und kurze Reaktionszeiten.

Die Vision Lasertechnik GmbH ist somit ein klassischer Maschinenbauer, der die Lasertechnik von Beginn an mit gestaltet hat.

Als mittelständisches Unternehmen verfügt die Vision Lasertechnik GmbH über eine außergewöhnliche Fertigungstiefe. Eine eigene Forschung, Konstruktion, Platinenfertigung, Zerspanung, Software- und Mikrocontrollerprogrammierung und die nahezu gesamte Wertschöpfungskette sind in diesem Unternehmen vereint, ganz bewusst komplett am Standort Deutschland.

Über ein Drittel der Arbeitnehmer sind Ingenieure und Physiker, eine wichtige Voraussetzung für die Sicherung des technologischen Fortschritts und die kurzfristige Entwicklung sowie Umsetzung neuer Produkte.

Schon einige Jahre vor Einführung der Thematik Industrie 4.0 stellte sich die Geschäftsführung der Vision Lasertechnik GmbH die Frage, wie zielgerichtete

Softwareentwicklungen Abläufe und Verfahren innerhalb des Produktionsprozesses optimieren könnte. Als Grundlage jeder Überlegung wurden auftretende Probleme gewählt, die sich nicht durch bestehende Technik oder Ablaufoptimierungen beheben ließen.

Im ersten Schritt wurde versucht, mit bereits existierender Technik wie einem ERP- oder PPS-System Lösungen zu finden. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass bestehende Software oftmals nicht ausreichend flexibel an die eigenen Bedürfnisse und Anforderungen anpassbar ist – eine generelle Adaption der Produktionsprozesse an die Vorgaben der Standardsoftware war nicht gewünscht und hätte nicht die erforderliche Lösung gebracht.

Um unternehmensinterne Abläufe, Produktionsprozesse und Algorithmen digital abbilden und optimierend steuern zu können, wurde als einzig möglicher Weg die Entwicklung und Realisierung von individuell für die Vision erstellter Software gewählt. Dies war zwar die aufwändigste und kostenintensivste Option, jedoch aufgrund fehlender Alternativen die einzige Möglichkeit.

Beginnend mit einem speziell auf die Bedürfnisse angepassten Produktionsplanungssystem erhielt 2009 die erste individuell erstellte Software Einzug in die bislang gänzlich klassisch gesteuerte Produktion von Laserschweißgeräten. Die neue Software ermöglichte nicht nur die ressourcenabhängige Planung, sondern auch die für das Qualitätsmanagement wichtige, konforme Sicherstellung von Qualität und Leistung sowie die lückenlos nachvollziehbare Hinterlegung von verbauten Komponenten und Bauteilen.

Nach Realisierung der ersten Lösung konnten auch andere Unternehmensbereiche auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen prüfend betrachtet werden. Der Bereich Vertrieb, als sicherlich für jedes Unternehmen relevante Abteilung, wurde nach dem gleichen Schema untersucht. Ausgehend von Problemen und Ablaufstörungen konnten in Gesprächen mit betreffenden Mitarbeitern Maßnahmenkataloge erarbeitet werden, die umgesetzt werden sollten. Eine neue Software sollte bestehende und funktionierende Abläufe kontrollieren und steuern sowie neue Möglichkeiten und Funktionen bereitstellen. Auch in diesem Teilprojekt wurde geprüft, ob ggf. bestehende und erhältliche Software die notwendigen Lösungen anbieten würde. Wie auch im Bereich PPS und ERP sind die verfügbaren Angebote jedoch standardisierte Entwicklungen, die einem sehr großen Kundenkreis einheitliche Funktionen zur Verfügung stellen. Viele Kerneigenschaften der Software lassen sich nicht ausreichend individualisieren. Ein Teil der Funktionen wird nicht benötigt, andere zwingend erforderliche Eigenschaften werden nicht angeboten.

Besonders im Vertrieb ist der Zugriff auf unterschiedliche Datenbestände von großer Bedeutung. So sind nicht nur Kundendaten und Kontakthistorien relevant, auch die nahtlose Verknüpfung zur Forschung und Produktion sind für eine hervorragende Kundenbetreuung unerlässlich.

Mit einer individuell für die Vision entwickelten Vertriebssoftware wurden gängige Kommunikationsmittel wie Microsoft Outlook mit einer anpassbaren Datenbank und den Informationen aus der Produktion gekoppelt. Anpassbare Workflows ermöglichen so die Arbeit in Teams und Arbeitsgruppen, die Hinterlegung relevanter Informationen und Dateien sowie die Überwachung von vereinbarten Terminen und Wiedervorlagen.

Erst nach Umsetzung der beiden genannten Eigenentwicklungen sowie zwei weiteren Individualprogrammierungen wurde ein daraus resultierendes, neues Problem ersichtlich:

Es entstanden autarke Insellösungen mit begrenzter Vernetzbarkeit und somit unzureichendem Datenaustausch zwischen den einzelnen Programmen. Ein Zustand, der zu weiteren Beschränkungen des vorliegenden Systems und zu zusätzlichen Problemen bei zukünftigen Entwicklungen führt.

Es wurden zwar bei allen Programmen Schnittstellen für die Anbindung an das ERP vorgesehen, eine generelle Vernetzbarkeit mit einheitlicher, zentraler Datenhaltung wurde jedoch nicht berücksichtigt.

Nutzbare Hilfestellungen für den Mittelstand: Vorgaben und Standards Industrie 4.0

Der 2013 erschienene Abschlussbericht der Umsetzungsempfehlung Industrie 4.0 (Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft, Prof. Dr. Henning Kagermann, Prof. Dr. Wolfgang Wahlster) gibt zwar eine ausführliche Übersicht über Chancen und Möglichkeiten der vierten industriellen Revolution in Verbindungen mit Use Cases und statistischen Auswertungen, relevante Informationen über standardisierte Protokolle und Schnittstellen bleiben jedoch aus.

Beginnt ein Unternehmen mit der Eigenentwicklung von Software, müssen eigene Protokolle genutzt werden, die im Falle einer späteren Standardisierung zu möglichen Nachbesserungen führen würden. Dies führt unweigerlich dazu, dass ein Großteil der deutschen Unternehmen auf vorgegebene Standards wartet. Eigenentwicklungen werden so lange zurückgestellt, bis die notwendigen Vorgaben definiert sind.

In den Medien publizierte Möglichkeiten wie das „intelligente Werkstück“, das alle für den Produktionsprozess, die spätere Verwendung und auch die anschließende Entsorgung relevante Informationen auf einem internen Chip oder Speichermedium vorhält, sorgte zusätzlich für Verwirrung. In den Bereichen Materialguss oder Zerspanung sorgen solche Ideen eher für Unverständnis.

Gleiches gilt für die beschriebene Umstellung auf „dezentrale Datenhaltung“. Historisch bedingt erwarten wir die Sicherung und Vorhaltung unserer Unternehmensdaten auf einem gesicherten und regelmäßig gewarteten Server in unserem Unternehmen. Dies gibt uns die notwendige Sicherheit, dass wir wissen, wo unsere Daten liegen.

Verteilt man jetzt die gewonnenen und relevanten Daten auf unterschiedliche Speicherplätze, z.B. „on-premise“ auf eigener Hardware im eigenen Unternehmen, „in der Cloud“ oder auf strategischen verteilten Datenträgern wie z.B. den Werkstücken, ruft dies verständlicher Weise Sorgen betreffend der Datensicherheit aus.

Beide genannten Beispiele sind nur ein kleiner Auszug aus den möglichen Unsicherheitsfaktoren bei der Entscheidung, ob und wie Unternehmen den nächsten Schritt in der Digitalisierung durchführen werden.

Betrachtet man die frei verfügbaren Informationen und Handlungsempfehlungen aus Sicht des Mittelstandes, ist eine kurzfristige und selbstständige Integration kaum möglich. Selbst neu beschaffte Maschinen und Anlagen bieten bislang nicht die notwendigen Schnittstellen für eine vollständige, standardisierte Integration.

Neu errichtete Vorführfabriken und Show-Cases präsentieren die autarke Produktion mit Hilfe von Robotik und neuen Softwaretechnologien- beeindruckende Präsentationen, die die Einführung dieser Produktionstechnik für den Mittelstand in weite Ferne rücken lässt.

Bereits bestehende Produktionstechnik müsste gänzlich ersetzt werden, der ausführende Arbeitnehmer wird scheinbar ersetzt- Szenarien, die auf viele Entscheider und Geschäftsführer befremdlich wirken.

Im Jahr 2013 wurden aufgrund einer vollständigen Auslastung im Bereich CNC-Zerspanung zwei zusätzliche Bearbeitungszentren beschafft. Lange Wartezeiten auf freie Produktionskapazitäten verursachten Verzögerungen der nachfolgenden Produktionsschritte und somit auch Lieferverzüge der fertigen Lasersysteme.

Die beiden zusätzlichen Maschinen stellten rechnerisch ausreichend Produktionskapazität zur Verfügung um die zeitliche Relevanz zu entschärfen und zusätzliche Kapazitäten für die Abteilung Prototypenentwicklung zu schaffen.

Schon wenige Wochen nach Indienststellung der neuen Zerspanungsmaschinen wurde festgestellt, dass die erwartete und skaliert auf bisherigen Erfahrungen errechnete Ressourcensteigerung nicht erreicht wurde. Die erfahrene Produktionsleitung dieser Abteilung, wie auch das Controlling konnte keine zufriedenstellende Lösung präsentieren.

Ganz unter den Aspekten der Industrie 4.0 hat die Vision Lasertechnik damit begonnen, die neuen, wie auch die alten am Fertigungsprozess beteiligten Maschinen und Anlagen zu vernetzen. Die alten Zerspanungsanlagen verfügten nicht über die erforderlichen Schnittstelle wie Ethernet oder Profibus und es mussten zunächst universelle Kommunikationsanschlüsse geschaffen werden, die über Sensorik und Dateiaustausch Zugriff auf die benötigten Produktions- und Fertigungsparameter ermöglichten. Dieses, auch als „retrofit“ bekanntes Umrüsten ermöglichte auch die Einbindung älterer Systeme und Anlagen, ein Aspekt, der größtenteils in den Umsetzungsempfehlungen der Industrie 4.0 keine Beachtung findet. Eine vollständige Implementierung von Industrie 4.0-Aspekten sollte nicht nur bei neu geplanten Fabrikationswerken möglich sein- auch bestehende und vollständig nutzbare Produktionseinheiten sollten nachrüstbar und vernetzbar werden.

Dies ist besonders im Hinblick auf die Umsetzbarkeit der Digitalisierung im kleinen und mittleren Mittelstand zwingend erforderlich, andernfalls wird die gewünschte und angestrebte vierte industrielle Revolution neuen Fertigungen und Konzernen vorbehalten sein, wobei selbst in diesen Bereichen eine vollständige Vernetzung unmöglich erscheint, solange nicht alle am Fertigungsprozess beteiligten Einheiten mit einbezogen werden.

Die mit der nun ermöglichten Vernetzung gesammelten Auslastung- und Fertigungsdaten ermöglichten eine tiefgehende Auswertung und gaben deutliche Antworten auf die gestellten Fragen nach der Ressourcenproblematik.

Die erwartete, reine Fertigungszeit der Maschine konnte mit einer Toleranz von +/- 5% ausreichend akkurat geplant werden, ein Aspekt, der ohne detaillierte Auswertung verborgen blieb, war die Programmierung von Zerspanungsprogrammen direkt an der Maschine. Zerspanungsaufträge wurden nicht, wie eigentlich vorgegeben und angenommen, über digitale CAD-CAM-Programme PC-basiert erstellt und anschließend auf die Fertigungsmaschinen übertragen- die Mitarbeiter programmierten kleinere Aufträge direkt am integrierten Monitor und sorgten somit für ungeplante längere Stillstände der Produktionseinheiten.

Ein weiterer Verzögerungsfaktor war die Datenübertragung der an einem anderen Vision-Standort ansässigen Konstruktionsabteilung. Teilweise lagen der Fertigung nicht die aktuellsten Revisionsstände vor, teilweise fehlten Fertigungszeichnungen oder Fertigungsprogramme gänzlich. Das Anfordern dieser Informationen dauerte bis zu mehreren Tagen, während Materialbeschaffung und ggf. Maschinenvorbereitung bereits abgeschlossen waren.

Auch wenn diese Aspekte im Nachhinein äußerst plausibel sind und belächelt werden könnten, war dies mit herkömmlichen Controlling-Funktionen im Vorfeld nicht erkennbar. In Gesprächen mit anderen Fertigungsbetrieben konnte dieses Phänomen auch in anderen Unternehmen beobachtet werden.

Grundsätzlich kann somit behauptet werden, dass in diesem Beispiel die digitale Überwachung eine zwingend erforderliche Antwort auf eine Frage gab und so die Grundlage für eine generelle Lösung darstellte.

Produktionsplanung

Auf Grundlage der nun bestehenden Vernetzung und der Erfahrungen der bisherigen Fertigung entwickelte die Vision Lasertechnik ein eigenes Manufacturing Execution System (MES). Ein internes WorkFlow-Management ermöglicht so die individuelle Anpassung der Software an die Erfordernisse des Produktionsbetriebes. Der Produktionsverantwortliche kann Prozessabläufe systematisch anlegen und auf Basis der gewonnenen Fertigungsdaten jederzeit manuell oder automatisiert anpassen. Die erfassten Daten wie Rüstzeit, Zerspanungszeit, Abrüstzeit und Maschinenstillstand werden erfasst und den geplanten und durchgeführten Produktionsaufträgen hinterlegt. Das System hinterlegt jedem Fertigungsteil alle erforderlichen Materialspezifikationen, die Zerspanungsprogramme, benötigte Werkzeuge und Zeichnungs- und Revisionsnummern. Die Erhöhung der Taktzeiten und die Nutzung von Wartezeiten nach Rückfragen konnten durch spezielle Workflows erreicht werden, die automatisiert die vorliegenden Daten auf Vollständigkeit prüfen und selbstständig fehlende Informationen in den jeweiligen Abteilungen abfragen. Erst nach vollständiger Hinterlegung aller erforderlichen Informationen erscheint der Auftrag produktionsbereit in der Fertigung.

Ein integriertes Eskalationsmanagement sorgt dafür, dass das System nach vorgegebenen Wartezeiten noch fehlende Daten an anderen Stelle anfordert und so automatisiert für einen reibungslosen Ablauf sorgt, ohne dass an relevanten Fertigungspunkten ein zeitlicher Aufwand bzw. ein Wartezeit entsteht.

Nachdem dieses, gänzlich neu gedachte MES implementiert wurde, konnten auf Basis dieser neuen Plattform weitere Ideen der Industrie 4.0 hinzugefügt werden. Sensorik und Aktorik konnten zentral zusammengeführt und verwaltet werden. Die Verknüpfung von Personalzeiterfassung und Personalplanung in der Fertigung konnten zusammen mit der Urlaubs- und Krankheitsdatenbank zu automatisierten und stets aktuellen Personaleinteilungsplänen genutzt werden. Bei kurzfristiger Krankmeldung von Mitarbeitern erstellt das MES innerhalb kürzester Zeit neue Arbeitspläne und optimale Maschinenbelegungen, ohne dass ein leitender Mitarbeiter Ablaufänderungen vornehmen muss.


Smart Thinking und Smart Watches

Einige Elemente der jetzt entstandenen digitalen Fabrik mussten nicht neu erfunden werden. Die Idee des „neuen Denkens“ oder „smart thinking“ ermöglicht die Nutzung bereits bestehender Technologien zur Erreichung der eigenen Ziele. Am Beispiel eines Maschinenbedieners wurden erstmals SmartWatches in der Produktion eingeführt.

SmartWatches sind seit einigen Jahren im Bereich der Consumer-Elektronik frei am Markt erhältlich, sie sind ausreichend robust, qualitativ hochwertig und bieten die Technik, die für die Einbindung benötigt wird. Erforderliche Schnittstellen sind dokumentiert und teilweise offen.

Ein Maschinenbediener, der zeitgleich mehrere Anlagen in einem größeren Areal steuert und überwacht, legt an einem Arbeitstag große Distanzen zurück- er wechselt seinen Standort regelmäßig zwischen den betreuten Maschinen um die Überwachung und fehlerfreie Funktion und Produktion sicher zu stellen. In diesem Beispiel der Zerspanungsmaschine verlässt sich der erfahrene Mitarbeiter besonders auf sein Gehör, da er trotz der lauten Umgebungsgeräusche anhand der Zerspanungstöne genau weiß, ob der Zerspanungsprozess nach Plan verläuft. Auch hierfür muss er seinen Standort durchgehend verändern.

Die durch Sensorik und Maschinenüberwachung gewonnenen Ist-Daten werden im MES mit einem erlernten Soll-Wert kontinuierlich verglichen, Abweichungen können entweder zu vorher festgelegten Aktionen wie „Maschinen-Stopp“, „Pause“ oder „Fortsetzen“ führen, im

Falle von unbekannten Status kann der Maschinenbediener jedoch über die am Körper getragene SmartWatch informiert werden. Diese Funktion erleichtert dem Mitarbeiter seine tägliche Arbeit deutlich.

2015 wurde dem MES, das von Beginn an auf in-memory-Datenbanken und einer CEP (Complex Event Processing) basierte, eine künstliche Intelligenz hinzugefügt. Ziel war es, dass das System von und mit dem Mitarbeiter lernt, sich Verhalten und Muster in der täglichen Arbeit speichert und auf dieser Basis zukünftig selbst Entscheidungen treffen kann.

Nimmt man beispielsweise eine Situation, in der im laufenden Zerspanungsprozess ein Werkzeug bricht, so kann es unter Umständen dazu führen, dass die Maschine ohne Unterbrechung den Fertigungsprozess fortführt, jedoch ohne eine tatsächliche Zerspanung vorzunehmen. Der Maschinenbediener würde diesen Zustand sofort anhand der Maschinengeräusche oder durch Sichtkontrolle erkennen – die gewonnen und an das MES weitergeleiteten Daten zeige deutlich eine Abweichung vom Soll-Wert, ausgelöst durch eine geringere Leistungsaufnahme im Vorschub. Ist jetzt diesem Status noch kein Muster und keine darauf folgende Aktion hinzugefügt, wird der Mitarbeiter umgehend informiert. Vermutlich stoppt er den Vorgang, tauscht das Werkzeug aus und startet ihn erneut- ein Handlungsablauf, der jetzt als feste Ablaufvorgabe im MES hinterlegt wurde oder hinterlegt werden kann. Zukünftig entscheidet das MES selbstständig und informiert lediglich, wenn gewünscht, den Maschinenbediener über die autonom durchgeführte Aktion.

Es kann und soll nicht generell entschieden werden, ob das digitale System oder der menschliche Mitarbeiter die Arbeit besser verrichten kann, der Weg der Vision sieht von Beginn an eine Kooperation vor. Das MES lernt Verhaltensmuster vom erfahrenen Mitarbeiter und schlägt ggf. Optimierungen vor. Somit kann die hohe Rechenleistung in Verbindung mit höchstmöglicher Reaktionszeit die Vorteile bieten, die dem menschlichen Mitarbeiter nicht gegeben sind. Die Kreativität und Erfahrungen des Menschen bilden jedoch eine unverzichtbare Basis für eine funktionierende Produktion.

Die Einführung neuer technischer Geräte, die Implementierung neuer Software und besonders Begriffe wie „künstliche Intelligenz“ können unter Umständen zu Unbehagen und Ängsten bei den Mitarbeitern führen. Bis heute sind Computer nicht uneingeschränkt von jedem Mitarbeiter nutzbar, einige Arbeitnehmer haben noch immer Probleme mit der Technik.

Geht man jetzt darauf aufbauende weitere Schritte, werden diese Probleme ggf. verstärkt. Dieses muss von Beginn an bedacht werden und bedarf besonderer Aufmerksamkeit.

Anders als bei herkömmlichen PC-Programmen bietet die neue Technik hervorragende Möglichkeiten, intuitiv nutzbare Bedienoberflächen zu erstellen. Die sogenannte GUI (graphical user interface) sollte durchgehend so gestaltet werden, dass lediglich die für den Anwender relevanten Daten kontextbasiert angezeigt werden. Mögliche Schaltflächen und Bedienelemente sollten so angeordnet sein, dass sie leicht und fehlerfrei nutzbar sind und nur dann erscheinen, wenn sie auch benötigt werden. Die Sorge des Arbeitnehmers, er könne etwas falsch oder gar kaputt machen, sollte technisch ausgeschlossen werden. Unterschiedliche Berechtigungsfunktionen bieten die Möglichkeit, dass der Anwender nur diese Funktionen nutzen kann, die für ihn vorgesehen sind.

Das Tragen einer SmartWatch, die ausschließlich relevante Informationen anzeigt und transparent darüber Aufschluss gibt, welche Daten sie ggf. selber erfasst und weiterleitet ist ein gutes Beispiel für schnell akzeptierte Technik. Die Nutzung eines komplexen PC-Programms auf ERP-Basis ist mit deutlich höherem Einweisungs- und Schulungsaufwand verbunden und sollte in Abhängigkeit vom Mitarbeiter verhindern werden.

MOS – eine neu gedachte Plattform im Unternehmen

Wie eingangs beschrieben, sind im Beispiel der Vision mehrere, voneinander getrennte Insellösungen entstanden. In den Bereichen Verwaltung, Finanzen und Controlling wird ein ERP-System eines großen deutschen Herstellers genutzt, das nur begrenzte Vernetzungen ermöglicht. Die neu entstandenen Systeme können zwar untereinander kommunizieren, bilden aber keine durchgehend einheitliche Datenhaltung.

Was somit erforderlich ist, ist ein darüber liegendes, unternehmensweit verfügbares System, das eine Art Betriebssystem über alle Abteilungen, Services und Programme zur Verfügung stellt. In diesem System können alle Daten und Informationen zentral gespeichert und verwaltet werden, neue Teilsysteme können auf dieser Architektur basieren und aufgebaut werden. Die Implementierung neuer Bereiche wird vereinfacht und kosteneffektiver.

Micoservices und schlanke, unabhängige Programme, die einzelne Funktionen in unterschiedlichen Unternehmensbereichen übernehmen, können durch einheitliche Schnittstellen mit dem neuen, smarten Betriebssystem kommunizieren. Aus den bisherigen Insellösungen, die einen hohen Schulungs- sowie einen deutlich höheren Wartungsaufwand verursachen, kann so ein zwar komplexes und sehr leistungsfähiges aber auch übersichtliches

und anpassbares Gesamtsystem werden. Einheitliche Oberflächen (GUI) sorgen für die notwenige Vertrautheit und Nutzbarkeit bei den Mitarbeitern.

Am Produktionsprozess beteiligte Maschinen und Anlagen können durch zusätzliche externe Hardware bzw. bereits integrierte Technik zu CPPE (Cyber-physische-Produktionseinheiten) bzw. CPS (Cyber-Physical Systems) (E. A. Lee and S. A. Seshia, Introduction to Embedded Systems: A Cyber-Physical Systems Approach, 1st ed. http://leeseshia.org, 2011.) werden und sich über Apps, also kleine für die Anwendung spezifische Programme mit dem Betriebssystem verbinden und benötigte Daten und Informationen bereitstellen und diese auch empfangen und verarbeiten.

Es ergibt sich ein vollständiges, integriertes System und es ermöglicht so die vollständige und lückenlose Vernetzung.

Wissensmanagement

Die bereits beschriebene Vernetzung ist nicht nur für die Anbindung und Einbindung von Maschinen sinnvoll. Gehen wir davon aus, dass die Umsetzung der Industrie 4.0 nicht zu gänzlich autark ablaufenden Produktionsprozessen in menschenleeren Produktionshallen führen wird, so werden wir auch zukünftig das Wissen, die Erfahrung und auch die Fertigkeiten der Mitarbeiter zwingend benötigen und fordern sowie fördern müssen.

Eine neue Form der Akzeptanz digitaler Medien und Techniken in den herkömmlichen Industrien bietet neue Chancen im Bereich Mitarbeiterschulung und Wissensmanagement.

Seit einigen Jahren ist besonders in der IT- und Softwarebranche die Einführung von Softwares zur einheitlichen Verwaltung von Erfahrungen, Verfahrensanweisungen und Problemlösungen verbreitet. In anderen Industrien und Gewerben wird diese Aufgabe teilweise von eingeführten Qualitätsmanagementsystemen übernommen, die oftmals jedoch zentral gesteuert nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen und nicht dynamisch skalieren.

Die Gesamtheit des Erfahrungsschatzes der einzelnen Mitarbeiter ist ein gigantisches Gut, das zu schützen und zu verwalten ist. Es sollte sichergestellt werden, dass Wissen an andere Mitarbeiter weitergegeben wird, dass es nachlesbar und archivierbar ist.

Wenn jetzt alle Mitarbeiter des Unternehmens täglich mit Programmen und elektronischen Geräten arbeiten, so kann auch ohne großen Aufwand ein standardisierter Wissensaustausch auf digitaler Ebene implementiert werden.

Ähnlich den im Internet verfügbaren Wiki-Systemen bildet eine zentrale Plattform die Möglichkeit für realitätsnahe Verfahrensanweisungen, frei zugängliche Informationen, kooperative Hilfestellungen unter den Mitarbeitern bei Problemen und Fragen sowie den schnellen Austausch von Fotos, Videos und z.B. Schaltplänen und Verfahrensanweisungen.

Die zentrale Plattform stellt diese Informationen unternehmensweit über Standortgrenzen hinaus zur Verfügung und ist überwach- und steuerbar.

Die Vision führte zu Beginn des Jahres 2016 eine solche Wissensplattform innerhalb des Unternehmens ein. Bestehende Verfahrensanweisungen aus dem Qualitätsmanagement wurden übernommen, Dienst- und Fertigungsanweisungen sind für alle Mitarbeiter digital verfügbar.

Die Mitarbeiter haben die Möglichkeit, Informationen einzusehen, zu bearbeiten und zu ergänzen, Workflows ermöglichen Freigaben und Revisionsstandverwaltungen.

Innerhalb weniger Monate entwickelte sich ein Erfahrungs- und Wissensaustausch, der deutlich über die Planungen bei der Softwareeinführung hinausging. Die Einführung dieser Software war jedoch nur mit den vorangegangenen Schritten der Digitalisierung möglich, die mobile Tablets, intuitiv bedienbare Bedienoberflächen und eine zentrale Datenhaltung ermöglichte.

Fazit

Einige der hier genannten Lösungen sind nicht neu, teilweise sind diese schon seit vielen Jahren am Markt erhältlich und wurden in vielen Unternehmen implementiert und genutzt.

Im Rahmen der Digitalisierung sollten diese Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten jedoch kritisch hinterfragt werden und ggf. neu gedacht werden. So lassen sich viele neue Anwendungsfelder finden, neue Vernetzungen zwischen unterschiedlichen Datenquellen können einen deutlichen Mehrwert und eine Steigerung der Effizienz ermöglichen. Schnelle Lösungswege, schnelle Entscheidungswege und eine verbesserte Kommunikation sorgt für eine höhere Motivation der Mitarbeiter sowie für eine deutliche Effizienzsteigerung.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist besonders durch den Mittelstand erfolgreich und international einzigartig. Neue Technologien ermöglichen es den Unternehmen einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil zu erlangen und zu erhalten. Die Nutzung neuer Technologien wird hierbei unterstützen, sie kann als Multiplikator bestehender Merkmale

Vorteile verschaffen, Lösungswege offenbaren und als Enabler in Zukunft die weitere Einführung technologischen Vorsprungs ermöglichen.

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